Targa Florio und Porsche - eine ganz besondere Erfolgsgeschichte

27. März 2023

Die Targa Florio gibt bis heute exklusiven 911-Typen den Namen. Dieses Rennen ist in Porsches Motorsporthistorie die zweitwichtigste Veranstaltung - gleich nach den 24 Stunden von Le Mans. Elf Mal gewann Porsche den Klassiker auf Sizilien.

Das Preisgeld lockt

Huschke von Hanstein ist wenig begeistert, an diesem Abend nach dem Training zum 1000 Kilometer-Rennen auf dem Nürburgring. Der italienische Rennfahrer Umberto Maglioli schwärmt immer wieder von einem ganz anderen Rennen auf Sizilien, der Targa Florio. ,,Was soll Porsche dort?" lässt der Rennleiter eher abweisende Worte fallen. 1955 hatte Stirling Moss mit dem Mercedes 300 SLR gewonnen. Hat Porsche gegen die hubraumstarken Mercedes, Maserati und Ferrari überhaupt eine Chance? Maglioli glaubt fest daran: ,,Der Porsche ist wendig, leicht, ideal für die Berge Siziliens". Von Hanstein und auch der zu hörende Ferry Porsche sind noch nicht ganz überzeugt. Dann lässt Maglioli den entscheidenden Satz fallen: ,,Auf Sizilien gibt es das höchste Preisgeld, gleich nach Indianapolis!"
Wenn das so ist, ist der Werkseinsatz beschlossene Sache, entschieden von Hanstein und Ferry Porsche. Der Werkseinsatz fällt eher bescheiden aus: Die beiden Monteure Willi und Werner Enz, übrigens nicht verwandt, machen sich auf den weiten Weg von Zuffenhausen über viele tausend Kilometer Landstraße nach Sizilien. Ihr Fahrzeug: Ein Opel Blitz, darauf ein Porsche 550 Spyder. Vor Ort stoßen von Hanstein hinzu, selbstverständlich Maglioli und dessen Gattin Gerti, zuständig für das Dolmetschen und die Verpflegung. 
Umberto Maglioli hatte klug gesprochen. Der kleine Porsche ist auf den engen Straßen konkurrenzfähig. Eugenio Castellotti stürmt zwar mit dem Drei-Liter-Ferrari an die Spitze. Doch das Getriebe hält nicht lange. Der große Piero Taruffi, der einen von Trips bei der Mille Miglia 1957 schlagen sollte, leidet unter einem Handicap: Nach einem Steinschlag lässt sich der Tank des Maserati nicht mehr ganz füllen. Zusatzstopps waren notwendig. Die anderen Ferrari, Maserati und Osca hält Maglioli im Porsche sensationell hinter sich. Später in diesem Rennen sollte von Hanstein übernehmen. Doch nach dem zweiten Stopp, wie auch nach dem Dritten, ist der in den Boxen nicht aufzufinden. Maglioli muss im Wagen blieben. Er siegt vor Taruffis Maserati und Olivier Gendebiens Ferrari, nach genau 7 Stunden, 54 Minuten und 52,6 Sekunden. Von Hanstein erklärt seine Abwesenheit beim Fahrerwechsel: ,,Ich bin dem Kassierer nicht mehr von der Seite gewichen, der wollte das Preisgeld unbedingt an einen Italiener auszahlen!" 
Andere Stimmen sagen, dass der Baron schnell erkannt hat, dass er mangels Streckenkenntnis das Tempo Magliolis nicht würde halten können. Wie auch immer: Porsche hat zum ersten Mal in der Geschichte bei einem ganz großen internationalen Rennen den Gesamtsieg erzielt. Als Willi und Werner Enz Tage später nach Zuffenhausen zurückkehren, lässt Ferry Porsche die gesamte Belegschaft zur Begrüßung an der Schwieberdinger Straße aufstellen. Ein einmaliges Ereignis.

Das Rennen der Conte Florio

Das zweifelsfrei ungewöhnlich hohe Preisgeld stammte aus der Kasse des Conte Vincenzo Florio. Dessen Familie gehörte zu den besonders wohlhabenden Großgrundbesitzern auf Sizilien. Die Legende sagt, dass allein die Flotte der Florios hundert Schiffe umfasste. Und dies, obwohl Italiens König verkündet hatte, dass nur er selbst eine derart umfangreiche Flotte sein Eigen nennen dürfe. Die Lösung? Das hundertste Schiff der Florios soll sich auf dem Schreibtisch des Conte befunden haben, und es war ganz aus Gold gefertigt. Der junge Vincenzo Florio war um die Jahrhundertwende ein wilder Draufgänger. Der noch ganz junge Automobilsport hatte es ihm angetan. Der ältere Bruder konnte ihn einmal von einem besonders gefährlichen Autorennen nur abhalten, als er viele Gäste zur Abschiedsparty des Rennfahrers auf eine kleine Insel vor Sizilien lud und umgehend anordnete, dass von dort für Tage kein Schiff mehr ablegen dürfe. Vincenzo verpasste diesen Start, die Leidenschaft für moderne Technik hielt an. In den ersten Jahren der Fliegerei sandte er einen Angestellten nach Frankreich, damit dieser Flugzeugführer werde. Klar: Conte Florio besaß wenig später die erste Flugmaschine Siziliens. 
Geärgert hat den Conte, dass der amerikanische Zeitungsverleger Gordon Bennett unter dessen Namen ein Rennen ins Leben gerufen hatte, welches um die Jahrhundertwende als härtestes aller Automobilrennen galt. Florio beschloss, in seiner Heimat eine Herausforderung dagegen zu setzen. Er steckte auf seinem Grund und Boden eine in dem Madonie-Gebirge großzügigen Rundkurs über zunächst 148,623 km, nach 1932 über 72 Kilometer. Boten und Gendarmen, Polizisten und Funktionäre ließ der Graf verkünden, dass am 9. Mai 1906 die „Targa Florio" ausgefahren werde. Targa heißt Schild. Man kämpft also um den Schild des Florio. Zum ersten Mal geschah dies im Jahr 1906. Gewonnen hat der Italiener Alessandro Cagno auf Itala. Der Name Porsche tauchte in der Geschichte des Rennens bereits 1922 auf. Ferdinand Porsche, der vor Ort war, hatte den 45-PS-Wagen „Sascha" konstruiert. Der Wagen gewinnt die Klasse. Am Steuer der Deutsche Alfred Neubauer. Richtig, es handelte sich um den späteren Mercedes-Rennleiter. Bis 1958 kümmerte sich Conte Vincenzo Florio um seine Targa. 1959 starb er an einem Herzinfarkt, im Nachtzug von Nizza nach Paris. 

72 Kilometer durchs Gebirge

Die in Deutschland noch immer bekannten Rennfahrer Herbert Linge und Paul Ernst Strähle fuhren 1959 gemeinsam im Porsche nach Sizilien. Nach drei Tagen und zwei Nächten Anreise gehen sie auf die Strecke noch vor der Suche nach einem Hotel. ,,Nur ein Einheimischer kann bei der Targa erfolgreich sein", hatten sie sich anhören müssen. Über 72 Kilometer windet sich eine Runde von der Küste bis 600 Meter hoch in die Berge und zurück ans Meer. Drei Ortschaften werden durchfahren, Cerda wird auf einer langen Geraden durchfahren. Mit Vollgas. Mitten in der Ortschaft ein Sprunghügel, dann eine leichte Linkskurve, dann eine enge Rechtskurve. ,,Viele Fahrer haben da nicht aufgepasst und sind abgeflogen," wusste Paul Ernst Strähle. 800 Kurven gehören zu einer Runde, sehr viele kleine Brücken. ,,Die im Verlauf meist immer schmaler werden", wie sich Linge erinnert. ,,Stimmt schon, unsere kleinen Porsche waren leichter zu fahren als die großen Ferrari, die beim leichten ausschwenken schnell mit dem Bug aneckten oder mit dem hinteren Kotflügel an einem Kilometerstein hängen blieben." Auf den kilometerlangen Bergab- Passagen waren die Bremsen gefordert - Vorteil für Porsche. 
Die beiden Schwaben merken 1959 schnell, dass sich viele Kurvenfolgen ähneln. Tückische Verwechslungen drohen. Strähle: ,,Dazu kam ein ständig wechselnder Belag samt Rollsplitt. Es fehlte der Grip, wie man heute sagen würde." Wer die besonders heiklen Stellen kannte und seine Ideallinie entsprechend wählte, war im Vorteil. Und Streckenkenntnis hatten Sizilianer wie Nino Vaccarella, ein Gymnasiallehrer aus Palermo. Oder Baron Antonio Pucci, der meist auf Porsche startete. Auch er auf Sizilien aufgewachsen, auch er mit Ländereien ausgestattet fährt Fahrer aus Deutschland gerne um den Kurs. ,,Viva Pucci!" rufen ihm Bauern und Straßenarbeiter an jeder Ecke zu. Der Baron grüßt mit der Linken, mit der Rechten erklärt er wild gestikulierend den Streckenverlauf. ,,Das Lenkrad hat er eigentlich nie festgehalten," sagten seine Beifahrer. Der Baron aus Italien wird 1959 Dritter mit dem Baron aus Deutschland, Huschke von Hanstein. Zum Dank für die Dienste gab von Hanstein Baron Pucci einen Wagen für das Rennen am Nürburgring. Was Streckenkenntnis ausmacht, erklärt Linge: ,,Bei der Targa war ich oft einige Sekunden langsamer als Pucci, am Nürburgring fehlten dem Baron gleich 30 Sekunden auf uns." 
Die beiden Schwaben haben damals tagelang von morgens um vier bis in die Nacht hinein trainiert. Ihr Trainingswagen ist des Kennzeichens wegen als „Sau 88" (S-AU 88) bekannt. Dieser 356 Carrera war 1957 und 1958 vom Werk in der GT-WM eingesetzt worden, dann kaufte ihn Linge. Markierungen mit Ölfarbe an den Kilometersteinen am Straßenrand sollen auf den Streckenverlauf hinweisen. ,,Manche Spitzbuben haben das System der Rennfahrer erkannt und die Zeichen für eine schnelle Kurve vor eine Spitzkehre gemalt", sagt Linge und lacht noch Jahrzehnte später über jene Streiche. 
Linge, Strähle und ihr dritter Mann Eberhard Mahle werden nach 14 Runden und 1008 Kilometern Zweite und Vierte im Gesamtklassement. Wie das? Damals war innerhalb eines Teams erlaubt, mehrere Wagen zu fahren. Also übernimmt das deutsche Trio einen 550 RS und den in der Rennsporthistorie bekannten 356 Carrera GT mit dem Kennzeichen „WN-V 2". Nur bei der Wagenabnahme hatte ein vierter Mann mit Lizenz anzutreten. Deswegen taucht in manchen Ergebnislisten ein gewisser Guido Scaglierini als Partner von Linge auf Rang zwei auf. ,,Das war ein Freund von Umberto Maglioli", weiß Strähle noch, ,,der hatte eine Lizenz, dachte aber gar nicht daran, so ein schweres Rennen zu fahren". Gewonnen hat 1959 zum zweiten Mal ein Porsche, der Porsche 718 RSK Spyder von Edgar Barth und Wolfgang Seidel. Zur Siegerehrung ins Seebad Mondello bei Palermo erschien Ferraris Gran Prix-Fahrer Olivier Gendebien mit einem Kopfverband. Die Targa Florio hatte er unfallfrei gemeistert, nicht aber die Landstraße Messina-Palermo. 

Von Syrakus zur Targa

In den Sechzigerjahren und auch noch danach sind die Grand Prix-Fahrer Gelegenheitsarbeiter. Selbst Weltmeister fahren an Formel 1-freien Wochenenden Sportwagen- oder Tourenwagenrennen. 1961 beispielsweise trifft es sich gut, dass der Große Preis von Syrakus auf Sizilien am Dienstag vor der Targa Florio ausgetragen wurde. Giancarlo Baghetti gewinnt auf Ferrari ganz knapp vor den beiden Porsche von Dan Gurney und Joakim Bonnier. Neben diesen beiden reisen Stars wie Stirling Moss, Wolfgang Graf Berghe von Trips, Graham Hill, Phil Hill, Richie Ginther, Olivier Gendebien und auch Willy Mairesse weiter nach Cefalu, wo die Targa Florio gestartet wird. 
Herbert Linge, der Porsche-Werksfahrer: ,,Moss war immer der Schnellste, wenn er durchkam." Linge hält die superschnellen Fahrer nicht immer für die besten Fahrer der Targa. ,,Wer so brutal hinlangt, belastet das Material und hat auch schnell mal einen Haken drin." 1961 gibt Linge Recht. Der vierfache Vizeweltmeister Stirling Moss scheidet mit dem eher unauffällig schnellen Doppelweltmeister Graham Hill genau drei Kilometer vor dem Ziel aus. In Führung liegend ist die Hinterachse ihres Porsche 718 RS61 Sypder der Belastung nicht mehr stand gewachsen. Sieger: Der Ferrari Dino 246 SP mit dem Duo von Trips/Gendebien. Zweiter: Der Porsche von Gurney/Bonnier. Strähle wird Sechster mit Pucci, Linge Siebter mit von Hanstein. 
Linges Gesamtbilanz: Sieben Targa Starts zwischen 1959 und 1965 und dabei acht Plätze unter den ersten sieben. ,,Einmal ist mir bei 160 km/h ein Hund in den Carrera Abarth gelaufen, sonst bin ich immer angekommen, und nie gab es eine Beule am Wagen." Bemerkenswert bei einem Rennen, wo viele Wagen im Ziel eine Rundumerneuerung nötig haben. 

Boxeninfos aus der Telefonzelle

Die Taktik für die Targa Florio erklärt Herbert Linge: ,,Nix kaputt machen, aber du musst trotzdem voll fahren." Warum? ,,Keiner wusste genau Bescheid über den Stand im Rennen." Die Erklärung: Gestartet wird im Abstand von 30 Sekunden oder einer Minute. Fast nie hat ein Fahrer einen direkten Gegner vor sich. Überdies gibt die offizielle Zeitnahme Zwischenstände eher unzuverlässig bekannt. Also notieren die Teams an den Boxen die Startzeiten der Favoriten sowie die Durchfahrtszeiten nach jeder Runde. Aber da waren im Schnitt zwischen 40 und 50 Minuten vergangen! Und bis der Fahrer wieder vorbei kommt und entsprechend informiert werden kann, ist die Uhr wieder um diese Zeit weiter gerückt. 
Der Notbehelf ist der Mechanikerposten an Kilometer 38 hoch oben in den Bergen. Diese Monteure stehen bereit, um Fahrer in Schwierigkeiten zu helfen oder mitunter auch nachzutanken. Sie können die Wagen eine Minute vor der Vorbeifahrt einige Kurven tiefer im Tal erkennen. Auch sie notieren Fahrernamen, nehmen Zwischenzeiten, und informieren Fahrer und auch die Boxen. Funk gab es erst in den späteren Jahren der Targa Florio. Noch zu Herbert Linge's Zeiten rannte der Monteur mit seinen Infos über Zeit, Klang des Motors oder auch einen Ausfall ins nahe liegend Dorf, um über das einzige Telefon die Porsche-Box zu erreichen! Die italienischen Fans bei Kilometer 38 teilten ihren Lambrusco gern mit den deutschen Monteuren. Ob dies der Wahrheitsfindung des Rennverlaufs diente, ließ sich nicht mehr zweifelsfrei klären... 

Vesper für Herrmann

Zu den besten Fahrern der Targa Florio gehört Hans Herrmann, der Porsche 1970 zum ersten Mal einen Sieg in Le Mans bescherte. Er hatte stets viel Gefühl für das Material und war dennoch schnell. Noch Jahre später kann er bei einer privaten Fahrt über die historische Strecke vor jeder Kurve aufsagen, wie der Verlauf oder auch der Fahrbahnbelag dahinter ausfallen wird. Seine Ergebnisse fielen dementsprechend aus. 1960 Erster mit Bonnier auf Porsche, 1961 Dritter mit Barth, 1969 Dritter mit Stommelen - um nur einige Erfolge aufzulisten. 
1959 ist sein Porsche 718 RSK Spyder schon in der ersten Runde in den Bergen mit Getriebeschaden liegen geblieben. Die Anordnung von Rennleiter von Hanstein war eindeutig: ,,Wer ausfällt, bleibt beim Wagen. Sonst fehlt später die Hälfte." Folglich steigt Herrmann nicht in den roten Mercedes der Rennleitung mit der Nummer 00, der gestrandete Fahrer einsammelt. Von Hanstein lässt seinen Chauffeur, wie die Rennfahrer sich gegenseitig bezeichnen, aber nicht hängen. Die Kollegen bekommen Vesperpakete mit auf die schnellen Runden. Paul Ernst Strähle: ,,Als wir den Hans an der Böschung stehen sahen, sind wir kurz vom Gas gegangen und haben das Vesper aus dem Wagen geworfen." Herrmann selbst kommentiert die Szene: ,,Viele Äpfel und Apfelsinen sind neben mir den Hang hinunter gekullert. Und manche Salami lag im Gras statt auf dem Brot!" 

Ciccio - Schuster der Schnellen

Heute reiht sich an der Küste Siziliens ein Hotel an das Andere. 1956 fand Huschke von Hanstein gar keine Unterkunft vor. Er musste mit seinem Mini-Team ins 85 Kilometer entfernte Palermo ausweichen. Später logierten Fahrer in einem Haus der Kette Jolly Hotels. ,,Wer in den Hotels in Italien damals Wanzen vorfand und nicht dazu auch noch Läuse, musste schon zufrieden sein", sagte Paul Ernst Strähle einst. 1959 war er nicht zufrieden. Noch am Abend des Rennens mietete er im Jolly Hotel fünf Zimmer für die Targa 1960 und bezahlte im Voraus. Das Werksteam buchte zu spät. Großzügig überließ der Schorndorfer von Hanstein und Chefentwickler Klaus von Rücker passende Räume. Später logierte Porsche meist im Santa Lucia. Kulinarisch ausgiebig gestärkt haben sich Porsches Monteure Ende der Sechziger Jahre nach langer Anfahrt zuletzt nur zehn Kilometer vor dem Ziel Cefalu. Dort nämlich wartete der damalige Porscheingenieur Ferdinand Piech. ,,Unter seiner Leitung war dann nix mehr mit essen, wir mussten nur schrauben", erinnert sich einer aus der Mechaniker-Crew. 
Zu dieser Zeit hatte sich ein Handwerker Namens Francesco Ciccio längst etabliert. Der ist ein begnadeter Schuhmacher. In den frühen Sechzigerjahren werkelt er in einer Doppelgarage vor den Toren des Club Med, der nahe Cefalu eines seiner ersten Feriendörfer eingerichtet hatte. Dank seines geschickten Umgangs mit weicher Sohle und geschmeidigem Leder wurde er zum Hoflieferanten für Rennfahrergenerationen. Sein Beiname: ,,Ciccio - Schuster der Schnellen." Bei ungezählten Rennfahrerfüßen hat er Maß genommen. Die Abdrücke der schweren Füße bewahrt er auf. Ob alle Fahrer im Targa-Feld Schuhe von Ciccio trugen, ist nicht überliefert. Sicher ist, dass die meisten Porsche­-Werksfahrer oder Grand Prix-Stars wie Jacky Ickx jahrzehntelang ihr Schuhwerk für die schnellen Runden bei Ciccio auf Sizilien orderten. Manchmal aus der Ferne, die Passformen liegen ja bereit. In der Doppelgarage arbeitet Francesco Ciccio heute nicht mehr, ihm gehört mittlerweile ein Schuhgeschäft mitten in Cefalu. 

"Viva Vaccarella!"

In den sechziger Jahren dominiert Porsche die Targa Florio. Bonnier/Herrmann (1960), Bonnier/Abate (1963), Pucci/Davis (1964), Mairesse/Müller (1966) lauten die Sieger für Porsche. 1967 steht der Sieger für die 400000 Sizilianer an der Strecke bereits vor dem Start fest. Nino Vaccarella im brandneuen Ferrari P4 gilt als unschlagbar. Er hatte 1965 gewonnen und 1966 die schnellste Runde gedreht. Doch die Tragik des Nino Vaccarella ist an diesem 14. Mai 1967 kaum zu überbieten. In der ersten Runde ist Gerhard Mitter im Porsche zweiter hinter Vaccarella - bereits mit mehr als einer Minute Rückstand! Doch in Runde zwei biegt Vaccarella, ausgerechnet in seinem Geburtsort Collesano, um einen Tick zu schnell in eine enge Rechtskehre ein. Etwas zu stark steht der Ferrari quer, der Italiener korrigiert, doch da stellt sich dem P4 ein 20 Zentimeter hohes Mäuerlein in den Weg. ,,Ninni" mag als Kind oft darauf gesessen haben. Die Barriere zerstört die Radaufhängung des Vier-Liter-Zwölfzylinder-Prototypen. Gebrochen für Wochen sitzt Vaccarella in Collesano vor einer Hauswand, auf der mit großen Lettern gemalt ist: ,,Viva Vaccarella!" Porsche feiert einen Dreifachsieg, an der Spitze Rolf Stommelen und Paul Hawkins. 

Quick Vic Elford

1968 scheint Alfa Romeo an der Reihe zu sein. Drei Runden vor Schluss führen Galli/Guinti mit dreieinhalb Minuten Vorsprung auf den übrig gebliebenen Porsche 907 mit der Startnummer 224. ,,Die hole ich auf“, beschließt Vic Elford, als er den Wagen von Umberto Maglioli übernimmt, dem ersten Sieger für Porsche 1956. Vic Elford hatte in der ersten Runde dreimal das Hinterrad verloren. 18 Minuten waren für den Trainingsschnellsten auf der Strecke geblieben. Viele Minuten hatte er, und für wenige Runden Maglioli, von seinem Rückstand abgefeilt. Elford erlebt 1968 ein Jahr, in dem ihm alles gelingt. Sieg auf Porsche 911 bei der Rallye Monte Carlo, ein sechster Platz im unterlegenen Cooper-Maserati beim Großen Preis von Monte Carlo. Und nun unterbietet der Amerikaner seinen eigenen Trainingsrekord um fast eine Minute. Eine Runde vor Schluss ist Ignazio Giunti geschlagen. Ein völlig ausgezehrter Elford gewinnt. ,,So fertig habe ich Vic noch nie gesehen", entfährt es seiner erschrockenen Gattin. Porsche bildet auf dem traditionellen Siegesplakat zum ersten Mal einen Fahrer ab und nicht einen Rennwagen. 
1969, nun im Porsche 908 mit Achtzylinder ist Elford wieder der Schnellste in Training und Rennen. Im Ziel liegen Elford/Maglioli dennoch knapp hinter ihren Teamgefährten Gerhard Mitter/Udo Schütz. 

908/03 - das ultimative Targa-Auto

Für die Targa Florio 1970 und das 1000-Kilometer-Rennen auf dem Nürburgring baut Porsche einen ganz speziellen Porsche. Sein Name 908/03. Achtzylinder, 350 PS und nur 540 Kilogramm Gewicht lauten die Daten. Motor und Getriebe rückten die Ingenieure nach vorn und damit auch den Fahrersitz. Die Pedale und damit die Füße der Fahrer lagen deutlich vor der Vorderachse. Im Training setzt Porsche einen Zwölfzylinder-917 ein. Doch der ist dem 908/03 krass unterlegen. Umso mehr Respekt verdient die Leistung von Vaccarella/Giunti. Im schweren 512 S halten sie einigermaßen mit, werden Dritte. 
Elford rutscht nach sieben Kilometern von der Piste, muss aufgeben. An der Spitze tobt wie in der ganzen Saison auch auf Sizilien ein knallharter Kampf zwischen den Porsche Spitzenmannschaften Siffert/Redman und Rodriguez/Kinnunen. Der Finne fährt in diesem Rennen in der Elften und letzten Runde die schnellste jemals gestoppte Targa-Zeit: 33:36,0 Minuten für die 72 Kilometer lange Runde durch die Berge. Das entspricht einem Durchschnitt von 128,571 km/h. Es reicht nur zu Rang zwei hinter Jo Siffert und Brian Redman. 
1971 treten diese Porsche noch einmal an. Angesichts der Fehde des Vorjahres beschließt Ferdinand Piech jedoch, die Stars Siffert und Rodriguez nicht gleich aufeinander loszulassen. Ihre Partner, Redman und bei diesem Rennen Herbert Müller, sollen starten. Beide kommen in der ersten Runde von der Bahn ab. Müller ist unverletzt, doch der Porsche von Brian Redman geht in Flammen auf. Er selbst berichtet Jahre später davon, dass ihn die italienischen Sanitäter in seiner Bewusstlosigkeit zunächst für tot gehalten und gar nicht erst behandelt haben. Erwiesen ist, dass Redman, wieder bei Bewusstsein, mit dem Hubschrauber zu den Boxen geflogen wird. Dort irrt er mit schweren Verbrennungen und unter Schock umher, bis ein Stuttgarter Medizinprofessor bei ihm ist. Dieser war von Piech zur Targa eingeladen worden. Redman kommt ins Krankenhaus, von da aus fliegt ihn Piechs Privatflugzeug zur weiteren Behandlung nach Stuttgart. 
Kein 908/03 kommt ins Ziel. Nino Vaccarella auf Alfa heißt der umjubelte Sieger, sein Partner ist Toine Hezemans. 

Porsche wieder als David

1973 endet die Targa-Historie. Das Straßenrennen passt nicht mehr in die Zeit. Das älteste Autorennen der Welt, das seinen Modus beibehalten hat, wird zum letzten Mal ausgetragen. Porsche ist nicht in der Favoritenrolle. Zwei 911 Carrera RSR sind deutlich langsamer als die Ferrari und Alfa Romeo ­Prototypen. Manches erinnert an die frühen Jahre, als Porsche in der Rolle des David auch auf Gebrechen der Goliaths setzten musste. Auch in diesem Fall wiederholt sich die Geschichte. Die ganz schnellen Wagen stranden, Gijs van Lennep und Herbert Müller siegen auf Porsche vor Sandro Munari/Jean-Claude Andruet auf Lancia Stratos. Glück gehört auch dazu. Um jedes Risiko zu vermeiden, ist 
am führenden Martini-Porsche früher als nötig das rechte Hinterrad gewechselt worden. Als sich wenig später ein Mechaniker in der Box auf den noch warmen Reifen setzte, ist bereits keine Luft mehr drin. Baron Pucci ist immer noch dabei, er teilt sich mit dem Weissacher Versuchsfahrer Günter Steckkönig einen Porsche 911 und wird Sechster. Abschied von der Targa Florio nach 57 Rennen: Porsches Renningenieur Peter Falk nimmt in den Boxen zum letzten Mal den Kopfhörer von einem rostigen Nagel. Im Jahr 2001 erfährt er, dass der Nagel noch immer in der Wand steckt. 

Neubeginn in Tasmanien

Einmal noch, 1986, wird der Targa Florio richtig Leben eingehaucht. ,,Targa Storica" lautet die Veranstaltung. Porsche macht mit, Peter Falk ist dabei und Fahrer wie Walter Röhrl, Herbert Linge, Paul Ernst Strähle, Dieter Glemser, Vater und Sohn Pucci. Und auch Hans Herrmann und Brian Redman. Was bei der Abreise aus Stuttgart keiner weiß: Einmal noch ist die Targa ein richtiges Rennen. Die Ortsdurchfahrten sind neutralisiert, davor und danach muss feste Gas gegeben werden. Ganz besonders tut dies Brian Redman. Gemeinsam mit Hans Herrmann gewinnt er, ausgerechnet mit den blauen Porsche 908/03. Der Wagen, mit dem der Engländer 15 Jahre zuvor so schwer verunglückt war, hatte ganz genau so ausgesehen. 
Aus und vorbei? Mitnichten! Seit 1992 wird die Idee der Targa Florio wieder aufgegriffen. Nicht auf dem touristisch stark erschlossenen Sizilien. In Anlehnung an die Targa Florio wird in Australiens südlicher Insel die Targa Tasmanien ausgetragen. Sie gilt heute als das schnellste und längste Straßenrennen der Welt. 

 

Die Biografie des zweifachen Targa Florio Siegers Herbert Müller mit Erinnerungen von Zeitzeugen und Familienmitgliedern. Ergänzt um eine unglaubliche Fülle erstklassiger Fotos, darunter zahlreiche noch nie öffentlich gezeigte.